Im Jahr 1982 ist der Martin-Gropius-Bau noch immer vom vierzig Jahre zurückliegenden Krieg gezeichnet – die darin stattfindende Ausstellung dafür umso gegenwärtiger: „Zeitgeist“ ist ihr Titel, ein Who-is-who der damaligen internationalen Kunstszene. Besonders prominent vertreten ist Joseph Beuys. Sein Environment „Hirschdenkmäler (± Wurst–Lehm–Werkstatt)“ füllt den gesamten Lichthof des Gropius-Baus mit allerlei Arbeitsgerät und Werkzeug, einer Art Feldbett und vor allem einem riesigem Haufen Lehm, aufgeschüttet zu über sechs Metern Höhe.
Und eine Werkstatt wurde es tatsächlich, denn Beuys kam, um zu arbeiten: Er redete mit den Besuchern und entwickelte die Idee, Teile der Gruppe zu einem neuen Werk zu arrangieren und gießen zu lassen. So kam es zur Zusammenarbeit mit der Bildgießerei Noack, von 1983 bis 1985, bei der der „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ entstand und in fünf Exemplaren hergestellt wurde.
Ein Blitz aus Lehm in Bronze
Herzstück der Gruppe ist der „Blitzschlag“: Ein sechs Meter hoher Bronzeabguss eines Teils genau des Lehmbergs, den die Besucher der „Hirschdenkmäler“ 1982 im Lichthof sehen konnten. Er musste in über zehn Einzelsegmenten im Wachsgussverfahren umgesetzt und anschließend verschweißt werden, wobei die Nähte in Ansätzen sichtbar bleiben durften. Entscheidend war, dass die rohe Anmutung und Textur des Lehms unbedingt erhalten bleiben musste, um die materiell-semantische Verdichtung eines „erdförmigen“ Blitzes in Bronze zu erreichen. Dafür musste die komplexe, porös-körnige Struktur des Lehms mit Spezialpunzen minutiös von noackschen Ziseleuren nachgearbeitet werden.
Umso roher ging es dafür mit den sogenannten Lehmlingen zu, einer Gruppe von 35 würstchenförmigen „Urtieren“ aus Lehmerde, die um den „Hirsch“ gruppiert waren, und in denen abgebrochene Werkzeuge Köpfe andeuteten. Als Beuys die Rohlinge der gegossenen „Tiere“ sah, war er so begeistert, dass er sie auf gar keinen Fall weiterbearbeiten lassen wollte.
In der Gruppe versammeln sich außerdem noch eine „Ziege“, eine Eisenlore mit gegossener Spitzhacke, ein „Hirsch“, der durch ein in Aluminium gegossenes Arrangement aus Bügelbrett, Prügeln und Eichenstammteilen repräsentiert wird, sowie ein Bildhauer-Modellierfuß mit einem Quader Erdreichs und einem Kompass darauf, ebenfalls in Bronze.
Avantgarde und Entgrenzung
Das Environment wurde mit seiner komplexen Symbolik und den zahlreichen Bezügen zu Beuys‘ lebenslangem Schaffen ein großer Erfolg und gilt als Kernstück des Spätwerks. Für die Geschichte der Firma Noack ist es zudem ein besonderes Beispiel dafür, wie große Kunst entsteht, wenn ein Künstler eng in Gießereiarbeit einbezogen wird und die Gießereimitarbeiter sich wiederum intensiv mit einem Werk und der künstlerischen Vision auseinandersetzen können. Zudem konnten sie sich über die große Fachkenntnis von Beuys freuen, der sich wiederum in einer später herausgegebenen Dokumentation der Arbeit ausdrücklich bei den Mitarbeitern bedankte.
Dass es mit Beuys keine Grenzen zwischen Kunst und Handwerk geben durfte, liegt auf der Hand, steht der Name Beuys doch gerade für eine radikale Entgrenzung der Ideen von Kunst und Künstler, als Wirkungsfeld und Rolle, die jedem Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer zur Verfügung stehen, explizit auch als Möglichkeit der politischen Veränderung.